Mit tiefer Bestürzung haben wir, Vereine und Initiativen aus Köln[1], den Vorfall vom 04.06.19 am Kölner Hauptbahnhof zur Kenntnis genommen. Wir sehen uns gefordert, Stellung zu beziehen gegen unverhältnismäßige Polizeigewalt, gegen rechtspopulistische Stimmungsmache, gegen Diskriminierungspraktiken gegenüber Muslim*a, gegen rassistische Gewalt und gegen das Schweigen der Zivilgesellschaft.

Konstruktion von Bedrohungsszenarien

Am 04.06.19, Datum des muslimischen Zuckerfests, wurden zehn muslimische Männer of color im Innenbereich des Kölner Hauptbahnhofs gesucht, mit vorgehaltener Dienstwaffe fixiert, auf den Boden gedrückt und in Gewahrsam genommen. Die Begründung für dieses massive Vorgehen lautete „Terrorverdacht“. Aus der Schilderung der Polizei selbst begründete sich dieser Terrorverdacht weitestgehend auf dem Ausruf „Allahu Akbar“, den ein Zeuge gehört haben soll, während sich betreffende Personen in religiöser Kleidung schnell auf den Bahnhof zu bewegten. Dass auch diese Darstellung nach neueren Erkenntnissen in Zweifel zu ziehen ist, wurde bereits von mehreren kritischen Stimmen hervorgebracht, doch selbst wenn sich die Ereignisse derart zugetragen hätten, würden sie keinerlei Legitimationsgrundlage für das Vorgehen der Polizei bieten.

Das Bild eines großräumig abgesperrten Bereichs und auf dem Boden liegenden fixierten Männern, verbreitete sich ebenso schnell in der Öffentlichkeit, wie auch die Rechtfertigung einer solchen Praxis. Diese ist aus unserer Überzeugung und Erfahrung im Umgang mit rassistischen Stereotypen allerdings äußerst problematisch. Unserer Ansicht nach darf sich polizeiliches Handeln nicht durch Reflexe äußern, die sich, wie in diesem Fall rassistischer Zuschreibungen bzw. antimuslimischer Rassismen bedienen. Aufgrund von äußeren Merkmalen und dem Ausspruch „Allah“ sofort auf einen islamistischen Terroranschlag zu schließen, lässt dabei außer Acht, dass es sich hierbei um eine Stigmatisierung von Menschen muslimischen Glaubens handelt. Die Gefahren, die durchaus von Seiten radikal-fundamentalistischer Islamisten bestehen, dürfen nicht instrumentalisiert werden, um so ein drastisches Vorgehen gegenüber einzelnen Personen zu rechtfertigen. Insbesondere die Polizei als ein staatliches Organ sollte sich darüber bewusst sein, auf welche Weise eine derartige Kontrolle und Fixierung von muslimischen Männern in der Öffentlichkeit die Konstruktion von rassistischen Vorurteilen nur noch festigt.

Wessen Angst wird ernst genommen?

Erneut ist der Kölner Hauptbahnhof trauriger Schauplatz eines rassistischen Vorfalls, der sich unter dem Vorwand der Gefahrenabwehr und dem Erfüllen vermeintlicher Sicherheitsbedürfnisse der weiß-deutschen Mehrheitsbevölkerung vollzieht. Insbesondere aufgrund der Erfahrungen von Silvester 2016/17 hätten wir einen kritischeren Umgang von der Polizei erwartet, indem muslimische Männer nicht unter Generalverdacht gestellt werden und die entwürdigende Festnahme dadurch gerechtfertigt würde.

So kommentiert Polizeipräsident Uwe Jacob später, die Polizei habe „mit der erforderlichen Konsequenz auf Situationen, die Menschen Angst machen und den Anschein erwecken, dass erhebliche Gefahren drohen“ reagiert[2]. Die „Angst“, auf die sich Jacob bezieht ist das Ergebnis einer andauernden medialen Berichterstattung, in der stereotype Darstellungen von Männlichkeit, Islam und Flucht und Migration in Zusammenhang mit Gefahr gestellt werden. Die Annahme, muslimische Männer stellen vor allem eine Bedrohung dar, ist leider im Kontext einer Entwicklung zu sehen, in der Menschen muslimischen Glaubens von der Dominanzgesellschaft als „Andere“ und „Fremde“ wahrgenommen werden.

Dass sich diese Darstellungen regelmäßig in aktive Gewalthandlungen übersetzen, kann anhand unzähliger Anschläge auf Asylunterkünfte, dem NSU-Komplex, rechtsradikaler Mobilmachung wie z.B. in Plauen, Clausnitz, Freital, Chemnitz, aber eben auch in Form staatlichen Vorgehens wie der fortwährenden Verschärfung des Asylrechts beobachtet werden.

Zu beobachten ist ebenso, wie die Zahl der antimuslimischen Übergriffe weiter ansteigt, ob in Form von terroristischen Anschlägen auf Moscheen wie z.B. in Christchurch (Neuseeland), oder auf Muslim*a persönlich. Eine 2015 veröffentlichte Studie der Bertelsmann Stiftung belegt, dass 57 % der deutschen Mehrheitsbevölkerung den Islam als Bedrohung wahrnehmen.[3] Auch in Köln war die Angst vor den „Anderen“ ohne Kenntnisse des Kontexts, z.B. dem vorangegangenen Moscheebesuch und ohne auf eine Indizien- bzw. Beweisgrundlage zurückgreifen zu können ausreichend, um eine derartig gewaltsame Kontrolle als angemessen einzustufen. Dieser Großeinsatz entspricht eindeutig der Praxis von racial profiling[4], die wir hiermit ausdrücklich verurteilen.

Konsequenzen für die Betroffenen von antimuslimischem Rassismus

Darüber hinaus sprechen wir uns dafür aus, den Fokus nicht nur auf die Täter*innen zu lenken, sondern den jungen Männern, die Opfer der Übergriffe wurden, Unterstützung und Solidarität anzubieten und ihnen eine Stimme über bloße Symbolpolitik hinaus zu ermöglichen. Wir fordern, dass sie für die entwürdigende Behandlung entschädigt werden. Dazu genügt eine formale Gesprächseinladung durch den Polizeipräsidenten nach unserer Auffassung nicht, erst recht nicht, wenn dieser weiterhin das Vorgehen rechtfertigt und seinen Unwillen bekräftigt, sich mit rassistischen Strukturen innerhalb der eigenen Reihen auseinanderzusetzen.

Diese Auseinandersetzung würde bedeuten, Rassismus als gesellschaftliches Macht- und Dominanzverhältnis zu begreifen, das Strukturen bestimmt und Unterdrückungsverhältnisse aufrechterhält. Schon lange fordern wir, ebenso wie weitere Fachstellen in Köln, unabhängige Beschwerdestellen bei der Polizei zu installieren und boten an regelmäßige Anti-Rassismustrainings mit Beamt*innen durchzuführen. Bisher kam es jedoch leider noch nicht zu einem konstruktiven Austausch.

Wer bleibt betroffen?

Ein bekanntes Muster von Rassismus ist, dass in rassistischen Praxen der Fokus in der Regel nicht bei den Betroffenen liegt, sondern die Auseinandersetzung aus der Perspektive derer bestimmt wird, die von Rassismus nicht betroffen sind. Die mediale Strahlkraft, die der Großeinsatz der Kölner Polizei und Bundespolizei besitzt, wird in der Konsequenz vor allem für die Menschen sehr deutlich spürbar sein, die sich aufgrund ihres religiösen und / oder ethnischen Hintergrunds mit rassifizierenden Zuschreibungen konfrontiert sehen. Das Bedauern, das Uwe Jacob gegenüber den betroffenen Männern ausgedrückt hat, greift leider zu kurz und lässt einen verantwortungsbewussten Umgang mit den berechtigten Ängsten von muslimischen Menschen aufgrund dieses Einsatzes vermissen.

Am 01.07. war der Tag gegen anti-muslimischen Rassismus[5], auf den wir uns beziehen möchten, indem wir die Zivilgesellschaft dazu aufrufen, an jedem anderen Tag genauso vehement für einen kritischen Umgang mit institutionellem Rassismus und der fahrlässigen Ausübung des staatlichen Gewaltmonopols einzutreten. Lasst uns solidarisch mit den Menschen sein, die täglich rassistischen Praktiken ausgesetzt sind.

“Not everything that is faced can be changed, but nothing can be changed until it is faced.”

(James Baldwin)

Unterzeichnende Organisationen:
agisra e.V.
Bündnis14 Afrika e.V.
Begegnungs- und Fortbildungszentrum muslimischer Frauen e.V.
Coach e.V.
Deutsch-Türkischer Verein Köln e.V.
Kölner Flüchtlingsrat e.V.
Öffentlichkeit gegen Gewalt (ÖGG) e.V.
Pamoja Afrika e.V


[1] Coach e.V., agisra e.V., Bündnis14 Afrika e.V., Begegnungs- und Fortbildungszentrum muslimischer Frauen e.V., Deutsch-Türkischer Verein Köln e.V., Kölner Flüchtlingsrat e.V., Pamoja Afrika e.V, Öffentlichkeit gegen Gewalt e.V.

[2] https://rp-online.de/nrw/staedte/koeln/koeln-hauptbahnhof-polizei-weist-rassismus-vorwuerfe-zurueck_aid-39259977

[3] https://www.bertelsmannstiftung.de/fileadmin/files/BSt/Publikationen/GrauePublikationen/BSt_ReligionsmonitorSonderstudieIslam_1_2015_web.pdf

[4] ENAR-Bericht (2009:13), https://www.opensocietyfoundations.org/sites/default/files/Factsheet-ethnic-profiling-20091001-GER_0.pdf : „Ethnisches Profiling bedeutet, dass Mitarbeiter der Polizei- und Ordnungsbehörden ihr Handeln, soweit es in ihrem Ermessen steht, auf verallgemeinernde Kriterien wie Rasse, ethnische Zugehörigkeit, Religion und nationale Herkunft einer Person, statt auf ihr Verhalten und objektive Beweise als Verdachtsmomente gründen.[…].“

[5] Der Aktionstag erinnert an Marwa El-Sherbini, die am 01. Juli 2009 im Gerichtssaal in Dresden erstochen worden ist. http:/www.tgamr.de