Berlin, den 08.12.2020

Stellungnahme des Antidiskriminierungsverband Deutschland (advd) zu den Maßnahmen des Kabinettausschuss zur Bekämpfung gegen Rechtsextremismus und Rassismus:

 

Kein effektiver Schutz vor Rassismus ohne Antidiskriminierung!

Der am 25.11.20 vorgestellte Maßnahmenkatalog des Kabinettausschuss zur Bekämpfung gegen Rechtsextremismus und Rassismus enttäuscht in Bezug auf den Diskriminierungsschutz auf allen Ebenen:

• Keine deutlichen Verbesserungen auf gesetzlicher Ebene
Die dringend notwendige Novellierung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) bleibt aus. Die beschlossene Fristverlängerung ist allein nicht ausreichend, damit Betroffene ihre Recht auf Gleichbehandlung auch tatsächlich durchsetzen können. Seit Jahren fordern Expert:innen die Einführung eines Verbandsklagerechtes und weiterer Maßnahmen, um Rechtsdurchsetzung zu gewährleisten. Handlungsleitend sollte die 2016 von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes vorgelegte Evaluation des AGG sein. Zudem muss es um mehr als nur die Novellierung des AGGs gehen. Der Schutz vor Diskriminierung muss in Form eines Bundesantidiskriminierungsgesetzes ausgeweitet werden, um vor allem bei institutioneller Diskriminierung Rechtsschutz zu gewährleisten. Auch dazu findet sich nichts im Maßnahmenkatalog.

• Antidiskriminierungsberatung wird weiterhin nicht mitgedacht
Auch der notwendige flächendeckende Aus- und Aufbau der unabhängigen Antidiskriminierungsberatung (ADB) wird nicht berücksichtigt. Wer Diskriminierung erfährt, braucht aber oftmals professionelle und parteiische Unterstützung, um rechtliche und außergerichtliche Möglichkeiten nutzen zu können. Diese wichtige Tatsache wird weiterhin außer Acht gelassen. Insbesondere seit der Coronapandemie und den Antirassismus-Protesten berichten Antidiskriminierungsberatungsstellen von steigenden Beratungsanfragen von Betroffenen von rassistischer Diskriminierung. Diese Zunahme trifft die Beratungsstellen in einer ohnehin schon prekären Situation und führt dazu, dass viele Betroffene noch längere Wartezeiten in Kauf nehmen müssen.
Es bleibt daher unverständlich, warum im Maßnahmenkatalog nur von „Opferschutz“ und dementsprechend den „Opferberatungsstellen“ gesprochen wird. Diese beraten und unterstützen Menschen, die rassistische, antisemitische und/oder rechte Gewalt erlebt haben und haben entsprechende Kompetenzen, um Opfern von Straftaten zu Seite zu stehen. Wer aber bei der Arbeits- und Wohnungssuche, bei der Bank, in der Schule und anderen Lebensbereichen diskriminiert wird, erhält dort keine Unterstützung. Dies ist das Angebot von Antidiskriminierungsberatungsstellen.

Antidiskriminierungsberatungsstellen beraten zum Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz und begleiten außergerichtliche und gerichtliche Interventionen. Dieses spezialisierte Beratungsangebot gibt es nach wie vor nur punktuell und auf wenige Regionen und Bundesländer beschränkt, und zudem prekär ausgestattet. Das bedeutet schlichtweg: Betroffene werden mit Diskriminierung allein gelassen. Ob mit „Verbesserung der bestehenden Opfer- und Betroffenenberatung in den Ländern“ (Maßnahme 65) auch Antidiskriminierungsberatungsstellen gemeint sind, bleibt zu hoffen. Wahrscheinlicher ist allerdings, dass nur die Opferberatungsstellen gemeint sind.

Damit zeigt sich, dass die Bundesregierung das Thema Rassismus in seiner Ganzheitlichkeit nicht verstanden hat oder nicht verstehen will: Rassismus zeigt sich nicht nur in physischen Gewalttaten und am sogenannten rechten Rand. Rassismus ist ein System, dass unsere Gesellschaft auf allen Ebenen durch rassistische Ein- und Ausschlüsse strukturiert und dadurch Schwarze Menschen und People of Color im Alltag durch Diskriminierungserfahrungen an einer gleichberechtigten Teilhabe in unserer Gesellschaft hindert.
Deshalb: Es kann keinen effektiven Schutz vor Rassismus geben ohne Antidiskriminierung!

• Beratungstelefon
Die Leerstelle bezüglich dem Bereich Antidiskriminierungsberatung setzt sich schmerzhaft in einer weiteren als zentral dargestellten Maßnahme fort: der Beratungs-Hotline.
Diese „Hotline“ soll auf „bestehende Strukturen“ verweisen. Während diese richtigerweise für den Bereich der Opferberatung ausgebaut und gestärkt werden sollen, stellt sich die Frage, an wen die Hotline im Fall rassistischer Diskriminierung verweisen soll (siehe Punkt 2). Es entsteht der Eindruck, dass hier öffentlichkeitswirksam ein Bahnhof gebaut werden soll, ohne dass an die Züge und Gleise gedacht wird. Darüber hinaus bleibt auch das seit Jahren etablierte Beratungsangebot der Antidiskriminierungsstelle des Bundes unberücksichtigt, das mehr umfasst als eine reine Erst- und Verweisberatung (und weniger als eine qualifizierte Antidiskriminierungsberatung). Die Missachtung der Kompetenzen, Expertise und Erfahrung der ADS ist unerklärlich und fachlich nicht begründbar. Kurz gesagt: es gibt bereits ein Beratungszentrum gegen Rassismus mit einer zentralen Hotline-Hilfe – die ADS. Warum soll nun eine zweite, in großen Teilen parallele Struktur mit vielen Geldern aufgebaut werden?

• Faktische Schwächung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS)
Die ADS hat als staatliche Institution seit 2006 den gesetzlichen Auftrag bei (rassistischer) Diskriminierung zu beraten, zu forschen, aufzuklären und alle vier Jahre dem Bundestag einen Bericht zu Diskriminierung vorzulegen.
Vor diesem Hintergrund ist der Aufbau einer Hotline nicht der einzige Punkt, an dem die ADS auf ein Abstellgleis geschoben wird. Auch im Bereich der Forschung, einem zweiten wesentlichen Tätigkeitsfeld, werden Parallelstrukturen und neue Zuständigkeiten geschaffen („Rassismusbarometer“).
Die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz hat in ihrem letzten Bericht zu Deutschland die Stärkung der ADS in Bezug auf Befugnisse und Ausstattung dringend empfohlen. Im Vergleich europäischer Gleichbehandlungsstellen ist die ADS deutlich unterdurchschnittlich aufgestellt. Trotz ihrer stetig steigenden Beratungszahlen – gerade bei rassistischer Diskriminierung – und ihren Warnrufen, dass die aktuellen Ressourcen nicht annähernd reichen, um ihre Aufgaben zu erfüllen, wird die ADS in keiner Hinsicht bei den beschlossenen Maßnahmen mitgedacht.
Das Gegenteil müsste passieren: die ADS muss gestärkt werden hinsichtlich ihrer Ressourcen, aber auch in Bezug auf ihre Unabhängigkeit, Befugnisse und Ressourcen, etwa nach dem Vorbild des Bundesdatenschutzbeauftragten. Aber nun ergibt sich in der Gesamtschau der Maßnahmen das Bild einer faktischen Demontage der ADS.

 

Die Stellungnahme kann hier heruntergeladen werden.